Philosophie aus sich heraus.
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Über Witze, Kritik und Empörung. Von Harald Martenstein 27.09.2018

Immer wieder veröffentliche ich Texte von Harald Martenstein aus dem ZEIT-Magazin. Warum das?

Harald Martenstein kann deutlich besser als ich schreiben und die Missstände dieser Welt auf seine geniale Art aufzeigen.

Über Witze, Kritik und Empörung Harald Martenstein 27Sep2018

 

Ich habe kürzlich über Islamkritik geschrieben und daran erinnert, dass Religionskritik zur Basisausstattung jedweden aufgeklärten Denkens gehört. Wenn für Kritik am Islam andere, schärfere Regeln gelten als für das Christentum, schrieb ich, wird es Zeit, über einen Asylantrag in einem laizistischen Land nachzudenken. Es kam eine kritische Anfrage aus der Redaktion. Alle polemischen Kritiker des Christentums und Judentums, die ich zitiert hatte, seien ja nun selber Christen oder Juden gewesen. Plötzlich stand die Frage im Raum, ob nur Muslime das Recht haben, ihre Religion kritisch zu sehen. Manchmal habe ich das Gefühl, aus Versehen in eine schwarze Komödie hineingeraten zu sein.

Ich stelle mir vor, nur Männer dürften den Sexismus kritisieren, Männer können sich ja immerhin am besten in die Seele von jemandem wie Harvey Weinstein hineinversetzen. Frauen können da gar nicht mitreden, oder? Und verbietet es nicht der Respekt, einem weißen Menschen Rassismus vorzuwerfen, wenn man selber gar keine Ahnung davon hat, wie es wirklich ist, weiß zu sein?

Jeder hat das Recht, eine Meinung zu haben, so was Ähnliches scheint ja auch im Grundgesetz zu stehen. Wenn das Prinzip »Gleiches Recht für alle« nicht mehr gilt, sind wir wieder im Mittelalter mit seinem Ständestaat, das erwähne ich bei Bedarf gern jede Woche.

Ein hübsches Dramolett (Minidrama) war auch der Shitstorm gegen den britischen Politiker Boris Johnson – ich glaube, man muss bei Erwähnung dieses Namens immer hinzufügen, dass er ein Hallodri sei, in Wirklichkeit kann ich das nicht beurteilen. Johnson hat sich gegen ein Verbot von Burka und Nikab ausgesprochen, ein Liberaler, aber er besaß die Kühnheit, hinzuzufügen: »Ich finde es absolut lächerlich, dass Leute freiwillig wie Briefkästen oder Bankräuber herumlaufen Das war islamophob, hieß es. Briefkästen sind doch nützlich, jeder mag die. Und die englischen Posträuber waren geradezu Popstars! Der Kontext, ein Plädoyer für Liberalität, spielte keine Rolle. Das ist ja immer so. Nun, es war ein klassischer Witz, und Witze sind so, mal besser, mal schlechter. Wir haben als Kinder die Nonnen immer »Pinguine« genannt, das wussten sie auch. Wenn man Witze nur noch flüsternd erzählen soll, wo sind wir dann eigentlich? Nach dem Mordanschlag auf einen dänischen Karikaturisten, der sich an Mohammed herangewagt hatte, hieß es in vielen Kommentaren, dass wir unsere Freiheit verteidigen müssen. Schon vergessen?

 

Wenn sich niemand mehr gekränkt fühlen darf, dann gibt es halt keinen Humor mehr. Oft werden solche Empörungsorgien gar nicht von Muslimen ausgelöst, sondern von opportunistischen Trittbrettfahrern.

 

Auch beim Thema Rassismus gibt es hübsche Beispiele für selektive Empörung. Nur Weiße sind Rassisten, alle anderen sind es nicht. Allein schon die Sklaverei! Allerdings gab es Sklaverei fast überall, und in manchen Ländern gibt es sie immer noch, googeln Sie mal »Sklaverei« und »Afghanistan«. Die Weißen unterschieden sich insofern, als sie im Namen der Menschenrechte die Sklaverei relativ früh abgeschafft haben. Die arabische Welt dagegen tut sich schwer damit. Ohne die Weißen und ihre Philosophie der Aufklärung gäbe es die Sklaverei heute noch überall. Falls Sie aber aus Versehen nicht die Sklaverei im Georgia von 1860 anprangern, sondern im Nigeria von 2018, müssen Sie darauf gefasst sein, von irgendwelchen Dödeln des Rassismus angeklagt zu werden. Wie sang schon Donna Hightower? This world today is a mess. (Diese Welt von heute ist ein Chaos/eine Katastrophe/eine Zumutung/eine Sauerrei)

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Weiteres von Harald Martenstein findest Du in Definition-Bewusstsein.de unter "Das Beste von Harald Martenstein"

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© Ulrich H. Rose

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